Beschluss vom 20.03.2024 -
BVerwG 1 WB 55.22ECLI:DE:BVerwG:2024:200324B1WB55.22.0

Leitsatz:

Die Aufhebung einer rechtswidrigen Referenzgruppe unterliegt im Wehrdienstrecht den Rücknahmevorschriften für begünstigende Verwaltungsakte.

  • Rechtsquellen
    GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 33 Abs. 2
    BPersVG § 52 Abs. 1 Satz 2
    SBG § 62 Abs. 3 Satz 1
    VwVfG § 48 Abs. 1

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 20.03.2024 - 1 WB 55.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:200324B1WB55.22.0]

Beschluss

BVerwG 1 WB 55.22

In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Koch,
den ehrenamtlichen Richter Major Marugg und
den ehrenamtlichen Richter Hauptmann Lehrl
am 20. März 2024 beschlossen:

  1. Die Referenzgruppe vom 17. August 2021 und der Beschwerdebescheid des Bundesministeriums der Verteidigung vom 14. Juni 2022 werden aufgehoben. Das Bundesministerium der Verteidigung wird verpflichtet, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über die Rücknahme und die Bildung einer neuen Referenzgruppe erneut zu entscheiden.
  2. Die dem Antragsteller im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht einschließlich der im vorgerichtlichen Verfahren erwachsenen notwendigen Aufwendungen werden dem Bund auferlegt.

Gründe

I

1 Der Antragsteller wendet sich gegen die am 17. August 2021 für ihn neugebildete Referenzgruppe.

2 Der ... geborene Antragsteller ist Berufssoldat in der Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes; nach seiner Ernennung zum Leutnant im Oktober 2010 wurde er als Personaloffizier im Bereich ... verwendet und am 1. April 2013 zum Oberleutnant befördert. Zwei Jahre später wurde er erstmals zum Vorsitzenden des Gesamtpersonalrats für den Bereich ... gewählt und ist seit dem 22. April 2015 vollständig vom Dienst freigestellt. Die aktuelle Wahlperiode endet am 31. Mai 2024.

3 Infolge der Freistellung ist für den Antragsteller am 23. Februar 2016 eine Referenzgruppe gebildet worden. Dabei sind alle Offiziere mit ähnlichem Beurteilungsbild betrachtet worden, die wie der Antragsteller am 1. Oktober 2010 zum Leutnant befördert worden sind und die alle Voraussetzungen für eine Förderung zum Hauptmann (A 11) am 1. April 2016 erfüllt haben. Die Referenzgruppe besteht aus 14 Soldaten im Dienstgrad Oberleutnant in der Verwendung "Personaloffizier Streitkräfte". Der Antragsteller nimmt in dieser Referenzgruppe den fünften Rang ein.

4 Die letzte planmäßige Beurteilung des Antragstellers zum Stichtag 31. März 2015 wies den Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung von "8,22" und in der Entwicklungsprognose die Bewertung "Förderung bis in die höchsten Verwendungen der Laufbahn" aus. Er wurde am 10. Juni 2016 noch auf der Grundlage dieser Beurteilung zum Hauptmann (A 11) und mit Wirkung vom 1. Oktober 2020 auf der Grundlage der Referenzgruppe in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 12 eingewiesen.

5 Bei einer im Dezember 2020 angeordneten generellen Überprüfung aller Referenzgruppen stellte das Bundesamt für das Personalmanagement fest, dass eine Neubildung der Referenzgruppe des Antragstellers notwendig sei, da die alte Referenzgruppe größere Abweichungen beim Durchschnittswert der Beurteilungen als +/- 0,3 aufweise und der Antragsteller nicht mittig platziert worden sei. Daher erstellte das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr für den Antragsteller mit Wirkung vom 17. August 2021 eine neue Referenzgruppe, die aus 13 Soldaten besteht und in der er den siebten Platz belegt. Dabei wurde auf den Zeitpunkt der Beförderung des Beschwerdeführers zum Hauptmann im Juni 2016 abgestellt. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesministerium der Verteidigung mit Bescheid vom 14. Juni 2022 zurück. Die Aufhebung der alten und die Bildung der neuen Referenzgruppe seien nicht zu beanstanden.

6 Hiergegen richtet sich der am 27. Juni 2022 beim Disziplinarvorgesetzten eingegangene Antrag auf Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Der Antragsteller führt aus, dass die Neubildung der Referenzgruppe ihn benachteilige. Eine Erweiterung der Gruppe um Referenzpersonen auf Plätze vor ihm sei nicht erforderlich gewesen, da bereits mit einer Erweiterung der Rangplätze nach seiner Rangnummer die notwendige Mindestgröße hätte erreicht werden können. Der Grund für die Neubildung sei bei den Referenzgruppenmitgliedern aufgetreten, die hinter ihm platziert seien, so dass sich die Frage stelle, warum die Reihung vor ihm geändert werde. Trotz der Überprüfung gehe er von einer Besitzstandswahrung seines Rangplatzes aus. Auch die damals gültige Dienstvorschrift habe gefordert, dass eine Änderung der Referenzgruppe während der Freistellung nicht erfolgen solle.

7 Das Bundesministerium hat den Antrag am 5. August 2022 vorgelegt und beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Eine Referenzgruppe dürfe dann aufgehoben werden, wenn sie in materiell-rechtlicher Hinsicht fehlerhaft zustande gekommen sei. Diese Voraussetzung liege vor, da die alte Referenzgruppe Mitglieder enthalte, die nicht über ein vergleichbares Leistungsbild verfügten. Das Bundesamt für das Personalmanagement habe zulässigerweise eine neue Referenzgruppe erstellen können und sei nicht verpflichtet gewesen, die ursprüngliche Referenzgruppe lediglich zu korrigieren.

8 Mit Verfügung vom 2. November 2023 ist das Bundesministerium der Verteidigung vom Gericht darauf hingewiesen worden, dass für die Auswahl der Referenzpersonen bei gebündelten Dienstposten die zuletzt erfolgte Beförderung des Antragstellers vor der Freistellung maßgeblich sei. Mit Schreiben vom 21. November 2023 führt das Ministerium aus, bei der Neubildung der Referenzgruppe sei zwar auf die Beförderung zum Hauptmann im Jahr 2016 abgestellt worden. Die Referenzgruppe sei materiell-rechtlich dennoch nicht zu beanstanden, da deren Mitglieder auch bei Abstellen auf das Bezugsjahr der Beförderung zum Oberleutnant (2013) im Zeitraum 2012/2013 befördert worden seien. Beurteilungserkenntnisse aus der Zeit der Freistellung hätten auf die Referenzgruppenbildung keine Auswirkung gehabt.

9 Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministeriums der Verteidigung und die Personalgrundakte des Antragstellers haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

II

10 Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat Erfolg.

11 1. Der Antragsteller hat keinen konkreten Sachantrag gestellt. Sein Vorbringen ist dahingehend auszulegen (§ 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 86 Abs. 3 VwGO), dass er nicht nur die Aufhebung der 2021 gebildeten Referenzgruppe und des Beschwerdebescheides vom 14. Juni 2022, sondern auch die Bildung einer neuen Referenzgruppe begehrt. Denn er geht wie das Bundesministerium der Verteidigung davon aus, dass seine 2016 gebildete Referenzgruppe jedenfalls hinsichtlich der letzten Gruppenmitglieder fehlerhaft gebildet ist und zumindest korrigiert werden muss. Darum beantragt er sinngemäß die Verpflichtung zur erneuten Verbescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts.

12 2. Der Antrag ist zulässig. Die Bildung einer Referenzgruppe für freigestellte Soldaten stellt eine dienstliche Maßnahme im Sinne von § 17 Abs. 3 Satz 1 WBO dar (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. November 2020 - 1 WB 20.20 - juris Rn. 10 m. w. N.). Der Antragsteller ist auch antragsbefugt. Die Referenzgruppenbildung dient der Verwirklichung des Rechts des freigestellten Soldaten aus § 62 Abs. 3 Satz 1 SBG i. V. m. § 46 Abs. 3 Satz 6 BPersVG a. F. (nunmehr § 52 Abs. 1 Satz 2 BPersVG) auf ein benachteiligungsfreies berufliches Fortkommen nach Eignung, Befähigung und Leistung. Der Antragsteller kann geltend machen, durch die neugebildete Referenzgruppe möglicherweise in seinen Rechten aus Art. 33 Abs. 2 GG i. V. m. § 6 SG verletzt zu sein, und im Falle der Rechtswidrigkeit einen Anspruch auf erneute Bescheidung zu haben. Schließlich hat er seinen Antrag fristgerecht gemäß § 17 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO innerhalb eines Monats nach Zustellung des zurückweisenden Beschwerdebescheids eingelegt und ein ordnungsgemäßes Vorverfahren durchgeführt.

13 3. Der Antrag ist begründet. Für den Anspruch auf Neubildung einer Referenzgruppe kommt es nicht wie häufig bei Verpflichtungsklagen auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an. Denn die Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt bestimmt sich grundsätzlich nach dem materiellen Recht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Mai 2022 - 5 P 1.22 - BVerwGE 175, 285 Rn. 15). Dies stellt für die Referenzgruppenbildung vergangenheitsorientiert auf die Sach- und Rechtslage zu Beginn der Freistellung des betroffenen Soldaten ab (BVerwG, Beschlüsse vom 26. April 2018 - 1 WB 41.17 - juris Rn. 27 und vom 26. Januar 2023 - 1 WB 3.22 - BVerwGE 177, 360 Rn. 33). Auf diese Weise wird die Gleichbehandlung der freigestellten Soldatinnen und Soldaten gesichert. Etwas anderes gilt nur, wenn sich eine rechtmäßig gebildete Referenzgruppe durch Funktionsloswerden erledigt oder mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen wird. In diesem Fall ist bei der Neubildung auf die Rechtslage nach Aufhebung der ersten Referenzgruppe abzustellen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 2023 - 1 WB 45.22 - juris Rn. 27).

14 a) Zu den hier maßgeblichen Zeitpunkten fehlte dem Referenzgruppenmodell zwar eine dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes genügende normative Rechtsgrundlage (BVerwG, Beschluss vom 23. November 2022 - 1 WB 21.21 - BVerwGE 177, 121 Rn. 41 f.). Es gab nur das gesetzliche Benachteiligungsverbot für freigestellte Soldatinnen und Soldaten aus § 62 Abs. 3 Satz 1 SBG i. V. m. § 46 Abs. 3 Satz 6 BPersVG a. F. (nunmehr § 52 Abs. 1 Satz 2 BPersVG), aber keine gesetzliche Direktive, auf welche Weise die berufliche Förderung freigestellter Personalratsmitglieder erfolgen sollte. Zum Nachteilsausgleich wurde bei Freistellung des Antragstellers im April 2015 ein Referenzgruppenmodell verwendet, das ausschließlich im Zentralerlass B-1336/2 "Förderung vom Dienst freigestellter Soldatinnen und Soldaten" (1. Änderung, Stand Februar 2015) geregelt war. Auch bei Bekanntgabe der neuen Referenzgruppe im September 2021 beruhte die Referenzgruppenbildung allein auf der Allgemeinen Regelung (AR) A-1336/1 "Mil. Personalführung für Freigestellte, Entlastete oder Beurlaubte" in der Fassung vom 26. August 2021. Die gesetzliche Verankerung des Referenzgruppenmodells in § 27b SG wurde erst durch das "Gesetz zur Beschleunigung der Entfernung von verfassungsfeindlichen Soldatinnen und Soldaten aus der Bundeswehr sowie zur Änderung weiterer soldatenrechtlicher Vorschriften" am 22. Dezember 2023 geschaffen (BGBl. I Nr. 392 S. 2).

15 Dieser Rechtsmangel führt jedoch nicht zur Unbeachtlichkeit der Verwaltungsvorschriften für Altfälle. Denn ein völliger Wegfall jeglicher Förderung der freigestellten Soldaten für vergangene Zeiten würde das Benachteiligungsverbot verletzen und damit einen Zustand herbeiführen, der von der Rechtsordnung weiter entfernt wäre als die übergangsweise Anwendung der Verwaltungsvorschriften in Altfällen. Vielmehr verlangt der Gleichbehandlungsgrundsatz die weitere Anwendung des damals in Verwaltungsvorschriften ausgestalteten und heute vom Gesetzgeber in § 27b SG übernommenen Referenzgruppenmodells (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 2023 - 1 WB 45.22 - juris Rn. 20 und vom 26. Januar 2023 - 1 WB 41.21 - juris Rn. 22 ff.).

16 b) Die Rücknahme der 2016 gebildeten Referenzgruppe ist aus anderen Gründen zu beanstanden. Zwar kann eine Referenzgruppe wie jeder Verwaltungsakt nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG zurückgenommen werden, wenn sie rechtswidrig gebildet ist. Da die Referenzgruppenbildung nicht nur, aber auch einen rechtlichen Vorteil begründet, sind die für begünstigende Verwaltungsakte geltenden Maßgaben des § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG zu beachten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. März 2021 - 1 WB 12.21 - juris Rn. 45 f.). Dies setzt neben der Rechtswidrigkeit des ursprünglichen Verwaltungsakts voraus, dass die zuständige Stelle eine Ermessensentscheidung über die Rücknahme trifft.

17 aa) Die ursprünglich für den Antragsteller am 23. Februar 2016 gebildete Referenzgruppe war zwar rechtswidrig. Die Bildung der Referenzgruppe entsprach nicht dem im April 2015 geltenden Zentralerlass B-1336/2 "Förderung vom Dienst freigestellter Soldatinnen und Soldaten". Die Referenzpersonen hatten vor der Freistellung im Jahr 2015 in ihren planmäßigen Beurteilungen kein wesentlich gleiches Eignungs- und Leistungsbild im Sinne der Nr. 502 Punkt 1 ZE B-1336/2. Während der Erstplatzierte im Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung 8,50 Punkte aufwies, kam die letztplatzierte Referenzperson nur auf einen Wert von 7,44 Punkten. Die Differenz von "1,06" Punkten lässt sich nicht mehr mit dem Kriterium der wesentlich gleichen Eignung in Einklang bringen. Von einem im Wesentlichen gleichen Leistungsbild kann nur ausgegangen werden, wenn sich die Durchschnittswerte - wie hier - innerhalb desselben Wertungsbereichs bewegten und die Differenz der Leistungswerte nicht höher als "0,30" Punkte ist (BVerwG, Beschluss vom 26. April 2018 - 1 WB 41.17 - juris Rn. 32). Die Beteiligten gehen daher zu Recht davon aus, dass die fünf letztplazierten Referenzpersonen rechtswidrig in die Referenzgruppe aufgenommen worden sind. Zwar liegen die betroffenen Referenzpersonen hinter dem Antragsteller und verschlechtern dessen Rangplatz nicht: Die Referenzgruppe erfüllt ohne sie jedoch nicht das in Nr. 501 ZE B-1336/2 aufgestellte Soll-Kriterium der Mindestgröße von 9 Referenzpersonen.

18 Des Weiteren ist die Referenzgruppe deswegen gleichheitswidrig gebildet worden, weil ihre Zusammensetzung nicht den in der Verwaltungspraxis üblichen zeitlichen Vorgaben entspricht. Nach Nr. 502 Punkt 2 ZE B-1336/2 ist für die Referenzpersonen die Versetzung im gleichen Jahr wie die freigestellte Person auf einen nach der Verwendungsebene vergleichbaren Dienstposten Voraussetzung. Da die Versetzung des Antragstellers auf einen Dienstposten A 9/A 10 im Jahr 2010 erfolgte, entspräche es dem Wortlaut auf das Jahr 2010 als Referenzjahr abzustellen. Ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften unterliegen jedoch keiner eigenständigen Auslegung wie Rechtsnormen. Entscheidend ist vielmehr, wie die zuständigen Behörden die Verwaltungsvorschrift im maßgeblichen Zeitpunkt in ständiger Praxis gehandhabt haben und in welchem Umfang sie infolgedessen an den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebunden sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Juni 2015 - 10 C 15.14 - BVerwGE 152, 211 Rn. 24). Bei Soldaten, die auf gebündelten Dienstposten eingesetzt sind, wird in der Verwaltungspraxis jedoch bei der Wahl des Bezugsjahres generell auf das Jahr der (letzten) Beförderung (Ernennung) abgestellt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 29. Juni 2017 - 1 WB 11.16 - juris Rn. 44 ff. und vom 26. April 2018 - 1 WB 41.17 - juris Rn. 34).

19 Da der Antragsteller im April 2013 zum Oberleutnant befördert worden ist, hätte die Referenzgruppe somit aus im selben Jahr ernannten Oberleutnanten gebildet werden müssen. Laut Anmerkung des Bundesamtes für das Personalmanagement wurde jedoch auf die Beförderung zum Leutnant im Jahr 2010 abgestellt. Diese Ungleichbehandlung ist ohne sachlichen Grund erfolgt, sodass die Bildung der Referenzgruppe das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Auf diesem Rechtsfehler kann die Referenzgruppenbildung auch beruhen. Es trifft zwar zu, dass alle Mitglieder der 2016 gebildeten Referenzgruppe auch im April 2013 zum Oberleutnant befördert wurden. Es ist aber nicht auszuschließen, dass darüber hinaus noch andere Soldaten im Jahr 2013 zum Oberleutnant befördert wurden, die ebenfalls in die Referenzgruppe hätten aufgenommen werden müssen.

20 bb) Angesichts dieser Rechtswidrigkeitsgründe war das Bundesamt für Personalmanagement der Bundeswehr berechtigt, aber nicht verpflichtet, die Referenzgruppe aufzuheben. Die Rücknahme dieses begünstigenden Verwaltungsakts lag nach § 48 Abs. 1 VwVfG in ihrem pflichtgemäßen Ermessen. Weder aus der Begründung der Neubildung der Referenzgruppe noch aus der Begründung des Beschwerdebescheids ist ersichtlich, dass sich die Ausgangs- oder die Beschwerdebehörde dieses Ermessensspielraums bewusst gewesen wäre. Die von § 48 Abs. 1 VwVfG geforderte Abwägung von Rechtmäßigkeits- und Bestandsschutzinteresse hat nicht stattgefunden, obwohl der Soldat in seiner Beschwerde explizit Bestandsschutz für seinen Rangplatz eingefordert hat. Ferner fehlt die für eine Ermessensentscheidung erforderliche Begründung (§ 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG). Eine Ermessensentscheidung war auch nicht ausnahmsweise entbehrlich, weil jede andere Entscheidung als eine Rücknahme ermessensfehlerhaft gewesen wäre (sog. Ermessensreduzierung auf Null). Denn die Rechtsfehler der alten Referenzgruppe sind nicht so gravierend, dass sie funktionslos geworden wäre oder zu einer völlig unangemessenen Benachteiligung oder Bevorzugung geführt hätte. Angesichts dessen führt der vollständige Ermessensausfall dazu, dass die Rücknahme der 2016 gebildeten Referenzgruppe aufzuheben ist. Dies schließt eine neue Rücknahmeprüfung innerhalb der erneut laufenden Jahresfrist des § 49 Abs. 4 VwVfG nicht aus (BVerwG, Urteil vom 23. Januar 2019 ‌- 10 C 5.17 - BVerwGE 164, 237 Rn. 44).

21 c) Die am 17. August 2021 neu gebildete Referenzgruppe ist gleichfalls aus materiell-rechtlichen Gründen zu beanstanden. Alle Mitglieder der neuen Referenzgruppe gehören zwar - wie der Antragsteller - dem Werdegang "PERS/PR/‌IN FUE" (Nr. 308 Satz 2 Buchst. e AR A-1336/1) an. Die Referenzgruppe setzt sich neben dem Antragsteller aus zwölf weiteren, nicht freigestellten Referenzpersonen zusammen und weist somit die erforderliche Mindestgröße von elf Mitgliedern auf (Nr. 303 Satz 1 AR A-1336/1). Sie haben auch ein vergleichbares Leistungsbild, weil die Durchschnittswerte der Referenzgruppenmitglieder in einem Spielraum von "8,50" bis "8,0" liegen und alle über dieselbe Entwicklungsprognose wie der Antragsteller verfügen (Nr. 308 Satz 2 Buchst. a AR A-1336/1).

22 Die neue Referenzgruppe entspricht jedoch nicht der aus Gleichbehandlungsgründen nach Art. 3 Abs. 1 GG zu beachtenden Vorgabe, die Referenzgruppe aus Soldatinnen und Soldaten zu bilden, die zum Zeitpunkt der Freistellung laufbahnrechtlich über einen vergleichbaren Stand verfügen (Nr. 308 Satz 1 AR A-1336/1). Sofern die betreffende Person - wie hier der Antragsteller - bei der Freistellung auf einem gebündelten Dienstposten eingesetzt worden ist, sind nach Nr. 308 Satz 2 Buchst. d AR A-1336/1 in die Vergleichsgruppe nur Soldatinnen und Soldaten aufzunehmen, die im gleichen Jahr wie die freigestellte Person zum aktuellen Dienstgrad befördert oder in die aktuelle Besoldungsgruppe eingewiesen wurden. Da der Antragsteller bei der Freistellung Oberleutnant gewesen ist, durften grundsätzlich nur Personen in die Referenzgruppe aufgenommen werden, die wie er im Jahr 2013 zum Oberleutnant befördert worden sind.

23 Bei der Bildung der Referenzgruppe wurde jedoch auf die Beförderung zum Hauptmann am 10. Juni 2016 und damit auf einen Zeitpunkt nach Freistellung am 23. Februar 2016 abgestellt. Zur Ergänzung der Referenzgruppe wurden sodann die benachbarten Jahrgänge 2015 und 2017 in die Betrachtung einbezogen. Dies wurde auch vom Bundesministerium der Verteidigung eingeräumt. Die fehlerhafte Bezugnahme ist ohne sachlichen Grund erfolgt und verletzt den Anspruch des Antragstellers auf Gleichbehandlung. Soweit das Bundesministerium der Verteidigung ausführt, dass alle Referenzgruppenmitglieder in den Jahren 2012/2013 zum Oberleutnant befördert worden sind, hilft dies nicht weiter. Denn es kann auch hier nicht ausgeschlossen werden, dass die mit Bezugsjahr 2013 zu bildende Vergleichsgruppe oder eine um die Jahrgänge 2012 und 2014 erweiterte Referenzgruppe aus anderen Soldaten besteht und für den Antragsteller günstiger ist.

24 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 20 Abs. 1 Satz 1 WBO.